Geschichte der Ev. Kirchengemeinde Mülheim am Rhein

1610 erhielten die Protestanten von den Fürsten zu Jülich-Kleve-Berg das Privileg, in Mülheim eine Kirche zu bauen und Pfarrer zu berufen. So gilt das Jahr 1610 als das Gründungsjahr der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein. Damals galten die Reformierten (von Calvin herkommend) und die Lutherischen noch als zwei getrennte Konfessionen und waren organisatorisch selbständig.

Beide Kirchen erfuhren großen Zulauf, so dass bald darauf mit den ersten Kirchbauten begonnen wurde. Außerdem schenkte der Markgraf Ernst den Evangelischen 1612 ein Stück Land aus dem Festungsgelände, damit es die Lutherischen und Reformierten gemeinsam als Friedhof nutzen. Die ältesten Grabsteine datieren von 1614. Die erste lutherische Kirche stand am Wall, an der heutigen Kirchturmstraße. Die Reformierten kauften ein Predigthaus am Rhein.

Mülheim – Stadtansicht um 1800 vom Rhein aus gesehen

 

Im Zuge der Gegenreformation aber ließen die Kölner 1615 mit kaiserlicher Genehmigung und päpstlichem Wohlwollen das erstarkende Mülheim niederbrennen. Erst nach dem dreißigjährigen Krieg (1618-1648) konnte die lutherische Gemeinde wieder einen Pfarrer anstellen und an einen Kirchenbau denken. 1665 wurde eine neue lutherische Kirche an der heutigen Kirchturmstraße erbaut, und schon 1680 um einen Bau erweitert. Leider fiel sie 1784 der großen Eisflut zum Opfer, die halb Mülheim zerstörte. Nur der Turm blieb stehen. Sofort machte man sich wieder an einen Neubau, der aber wegen der Hochwassergefahr nicht mehr an der alten Stelle stehen sollte. Durch den Verkauf des übrig gebliebenen Turmes samt seines imposanten Helmes nach Monschau – wo er heute noch zu besichtigen ist -, konnte der neue Kirchbau finanziert werden.

1786 fand die Einweihung der neuen Kirche an der heutigen Wallstraße 70-72 statt, die nach den Plänen des Baumeisters Helwig errichtet worden war. Der Grundriss der Kirche bildet das Kreuz im Kreis ab. Das symbolisiert das Kreuz Christi in der Welt. Diese Kirche besaß zunächst keinen Turm. Erst in den Jahren 1845-1848 konnte nach den Plänen des Dombaumeisters Zwirner ein Turm hinzugefügt werden. Unterstützt wurden die lutherischen Protestanten durch die in Köln lebenden Lutheraner, die sich jetzt der Gemeinde Mülheim anschlossen, da sie in Köln immer noch keine freie Ausübung ihres Glaubens erwarten durften. Unter ihnen war auch der Kaufmann und Seidenfabrikant Christoph Andreae, dessen Familie die Geschicke der lutherischen Gemeinde über 200 Jahre lenkte und die Vermögensverwaltung übernahm.

Die reformierte Gemeinde in Mülheim konnte sich trotz großer Entbehrungen im Dreißigjährigen Krieg halten. 1699 wurde sogar eine zweite Pfarrstelle eingerichtet. Als die lutherische Kirche durch den Eisgang zerstört wurde, boten die Reformierten ihre Kirche an der Taubenstraße (der heutigen Formesstraße) zur gemeinsamen Nutzung an. Die Zeit war da, dass man die konfessionellen Unterschiede nicht mehr als so bestimmend erlebte. Über eine Vereinbarung beider Gemeinden wurde nachgedacht. Im Zuge dieser Bestrebungen benannten sich beide nach den Apostelbrüdern Petrusgemeinde (reformiert) und Andreasgemeinde (lutherisch).

1837 wurden, auch auf Bestrebungen des preußischen Königs, die lutherisch und die reformierte Gemeinde vereinigt. Die lutherische Kirche erhielt den Namen Friedenskirche (Friede zwischen den Konfessionen). Es war jetzt nur noch eine Kirche vonnöten, so dass die Reformierten ihren Kirchensaal verkauften. Beide Gemeinden hatten von Beginn an auch Schulen unterhalten, die ebenfalls 1838 vereinigt wurden. Durch die zunehmende Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr die Evangelische Gemeinde Mülheim am Rhein noch einmal großen Zuwachs. Die Friedenskirche wurde bald für Bedürfnisse der Gemeinde zu klein. Darum wurde von 1893-1895 an der Regentenstraße die große, stattliche Lutherkirche erbaut.

1910 feierten die Evangelischen ihr 300jähriges Bestehen in Mülheim und blickten auf eine wechselvolle Geschichte zurück, aber auch auf ein blühendes Gemeindeleben mit vielen diakonischen Einrichtungen.

Die Gemeinde unterhielt ein Kinderheim (kurzfristige Versorgung von Kindern), ein Waisenhaus, das Otto-Stift, drei Kindergärten, ein Frauenaltenheim, ein Krankenhaus, drei Pfarrhäuser und fünf Gemeindehäuser.

1914 verliert die Kreisstadt Mülheim ihre Selbständigkeit und wird Stadtbezirk von Köln. Die spätere Anfrage, ob das Leitungsgremium der Evangelischen Gemeinde bereit sei, nun auch Köln in den Gemeindenamen aufzunehmen, wird einstimmig abgelehnt. Bis heute heißt es: Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein.

Von den Wirren des 1. Weltkrieges blieb auch die Gemeinde nicht verschont. Die anfängliche Kriegsbegeisterung wich bald der bitteren Realität. Das Evangelische Krankenhaus und das Dreikönigenhospital wurde zu Kriegslazaretten umgerüstet, ein Soldatenheim im Gemeindehaus Wallstraße wurde eingerichtet und beide Kirchen mussten 1917 sechs Glocken, sämtliche zinnernen Orgelpfeifen und die Kupferbedachungen der beiden Kirchtürme für Rüstungszwecke abliefern.

Die nachfolgenden Jahre sind geprägt durch die politischen Veränderungen und die wirtschaftliche Not. Auch die ehemals so reiche und vielgestaltige Gemeinde verarmte. Das Evangelische Krankenhaus musste aus Kostengründen aufgegeben werden. Das Gebäude wurde umgebaut und erweitert. Es sollte als Ernst-Moritz-Arndt-Haus zu einem Jugend- und Vereinsheim werden. Bei den Kosten war man von der Inflation überrollt worden, und nur mit Mühe konnten diese Gelder aufgebracht werden.

Die Weltwirtschaftskrise erfasste auch die großen und mittleren Betriebe in Mülheim. Die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe. Die Gemeinde versuchte durch Sammlung von Lebensmitteln, Kleidern und Heizmaterial die ärgste Not der Arbeiterfamilien zu lindern und gründete die Notopfergemeinschaften. Durch regelmäßige Beiträge der Mitglieder wurden Gelder angesammelt, die den bedürftigen Menschen zugute kamen. Trotz der politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten breitete sich die Gemeinde weiter aus. Schon 1911 wurde ein Bethaus in Flittard errichtet, 1913 wurden die Gemeinde Dellbrück selbständig. 1930 folgt der Bau einer Gottesdienststätte in Buchforst, 1938 erhält Dünnwald die Tersteegenkirche.

Wallstr. um das Jahr 2000
Die Wallstraße in den 1930er Jahren    

 

In der darauf folgenden Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft geriet die Gemeindeleitung sehr schnell mit den neuen Machthabern in Konflikt. Der Versuch, die Kirchengemeinde durch die Deutschen Christen gleichzuschalten, misslang in Mülheim. Das Presbyterium beschloss die Zuordnung der Gemeinde zur Bekennenden Kirche, die sich 1934 auf der Bekenntnissynode in Barmen konstituierte. Die Jugendarbeit der Gemeinde wurde daraufhin vom Staat schwer beeinträchtigt. Die drei Kindergärten wurden beschlagnahmt. Der Religionsunterricht für die oberen Klassen der höheren Schulen einbezogen. Das Erscheinen evangelischer Sonntagsblätter musste eingestellt werden. Am 28. Oktober 1944 vernichtete ein verheerender Fliegerangriff fast die ganze Stadt und kostete viele Menschenleben. Die beiden Kirchen lagen in Schutt und Asche, alle kirchlichen Gebäude im Inneren der Stadt wurden zerstört. Die Überlebenden hausten in Trümmern. Die ersten Gottesdienste fanden in den Resten des Gemeindehauses Berliner Straße statt. Dann wurden Räume in der Leverkusschen Villa in der Düsseldorfer Straße 27 angemietet, die zur gottesdienstlichen Versammlung dienten. Auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheims in der Graf-Adolf-Straße bauten Jugendliche ein Jugendheim, das auch für Gottesdienstzwecke benutzt wurde. 1947 wurde auch hier mit dem Wiederaufbau begonnen.

1953 konnte das neu errichtete Gemeindehaus, das – in Erinnern an den ehemaligen Stifter Christoph Andreae – Andreae-Haus genannt wurde, der Gemeinde übergeben werden. 1955 wurde in die Ostseite des Gemeindesaales ein Sakralfenster eingebaut. Es versinnbildlicht in einer von dynamischem Schwung erfüllten abstrakten Motivgestaltung das Pfingstwunder. Der Künstler E.O. Köpke aus Düsseldorf hatte es 1953 entworfen und in der Werkstatt von Richard Gassen aus Düsseldorf fertig stellen lassen. Einen konkreten Bezug zur Gemeindegeschichte findet sich in dem Rundfenster. Dort wurde die Thematik des Siegels – Lamm, Kreuz mit Weinstock und Ähren – aufgenommen.

Durch die großzügige Spende von 10.000 Dollar der amerikanischen Lutheraner konnte aus den Steinen der alten Lutherkirche die Luther-Notkirche gebaut werden. Die Pläne dazu wurden von dem renommierten Architekten Professor Otto Bartning entworfen.

Am 16. Januar 1949 konnte die „neue“ Lutherkirche mit angeschlossenem Gemeindesaal und Küsterwohnung unter großer Beteiligung der Gemeinde eingeweiht werden.

Foto der Luthernotkirche historisch

1960 war dann auch die Friedenskirche soweit wieder aufgebaut worden, dass sie zum 1. Advent der Gemeinde übergeben werden konnte. Das äußere Erscheinungsbild versuchte sich an den ehemaligen Vorlagen zu orientieren. Innen verfolgte man eine moderne Raumkonzeption. Die barocke Trias von Alter, Kanzel und Orgel ging verloren.

1959 gründet sich durch Umverteilung der Bezirksgrenzen der jüngsten Gemeindebezirk der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein. Die Stegerwaldsiedlung wird aus dem Deutzer Verband herausgelöst und mit Teilen Altmülheims zum Bezirk Gnadenkirche zusammengefügt. Die Verhandlungen über den Bau einer Kirche mit Gemeindezentrum gestalten sich langwierig, doch

1964 ist es endlich soweit. Die Gnadenkirche wird der Gemeinde übergeben. Leider ist ihr keine allzu lange Wirkungsdauer beschieden gewesen.

1997 verkaufte die Gemeindeleitung aus wirtschaftlichen Gründen den Komplex an einen Privatinvestor, der dort eine Kindertagesstätte der Stadt Köln errichtete.

1965 erhält die Friedenskirche eine Pfeifenorgel, die von dem Kölner Orgelbauer Willi Peter erbaut wurde und bis heute in Gebrauch ist. Für die wachsende Gemeinde wurde bald auch im Friedenskirchenbezirk ein Versammlungsraum benötigt.

1971 wurde gegenüber der Friedenskirche ein Fertighaus mit mehreren Räumen errichtet, das bis vor einigen Jahren seinen Dienst tat. Nun steht dort seit 2001 ein mehrstöckiger Neubau: das Peter-Beier-Haus, benannt nach dem ehemaligen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, der 1996 verstarb. Der Neubau dient zu Wohn- und Gemeindezwecken und hat das Café Vreiheit inne.

Im Zuge der wirtschaftlichen Veränderungen brach Anfang der 80er Jahre die erste große Arbeitslosenwelle nach dem Krieg über Mülheim herein. Alte Traditionsbetriebe entschieden sich für einen radikalen Personalabbau, viele mittelständische und kleinere Betriebe gingen in Konkurs. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Tausende. Auch die Kirchengemeinde versuchte mit ihren Angeboten der Not der Menschen zu begegnen. 1984 wurde ein Arbeitslosenzentrum (MALT) mit psycho-sozialer Beratungsstelle (1985) gegründet, in denen die Menschen Informationen und Hilfestellung zu ihrer Situation erhielten.

Ebenfalls wurde in den 70er Jahren der baufällige Lutherturm saniert und umgebaut, so dass 1981 dort die kirchliche Jugendarbeit ihren Dienst aufnehmen konnte. Aus dem MALT (Mülheimer Arbeitslosenzentrum) entwickelte sich Anfang der 90er Jahre die Mülheimer Lebensdienste, kurz Mühle genannt. Dies war bis vor drei Jahren ein diakonisches Angebot für ältere oder kranke Menschen. Durch hauswirtschaftliche Unterstützungen und Hilfe in der Alltagsbewältigung sollte den betroffenen Menschen ein langes Verbleiben in den eigenen vier Wänden ermöglicht werden. Doch durch den Wegfall der Zivildienststelle und der zurückgehenden Zahl von Kräften konnte dieses Angebot nicht weiter seine volle Umsetzung finden.

Der alte Evangelische Friedhof wurde, wie schon erwähnt, 1612 den Evangelischen vom Bruder des Kurfürsten zu Brandenburg, dem Markgrafen Ernst, geschenkt. Beide Konfessionen hatten das Recht, dort zu beerdigen. Die jetzt noch bestehende Friedhofsmauer aus Feldbrandsteinen wurde 1860 angelegt. Alte Gräber verweisen auf die Persönlichkeiten, die die Stadtgeschichte prägten (Rhodius, Andreae, Leverkus, Charlier, Steinkopf, van Hees und viele mehr).

1994 war es der Gemeinde möglich, unterstützt durch zahlreiche Spenden, endlich eine kleine Friedhofshalle zu errichten. Bis heute wird auf dieser historischen Stätte beerdigt.

Die Anfänge der Mülheimer Kantorei gehen auf das Jahr 1973 zurück. Kirchenmusikalisch Interessierte schlossen sich unter fachkundlicher Leitung zu einem Gemeindechor zusammen. 1982 wurden durch den Wechsel in der Leitung neue Impulse gesetzt, und bis heute zählt die Mülheimer Kantorei zu den besten Laienchören Deutschlands.

1999 wurde dir Friedenskirche zum dritten Mal in diesem Jahrhundert restauriert und saniert. Ein großer Wasserschaden und Feuchtigkeitsprobleme im Fundament machten eine umfassende Renovierung notwendig. Unter dem Stichwort „Kontemplation-Kommunikation-Kunst“ lädt die Gemeinde im Rahmen der „Offenen Friedenskirche“ zu Begegnungen und Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Inhalten ein. Es finden Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Filmnächte, Klangcollagen, Diskussionen und Gottesdienste in neuer Form statt. Gerne treten wir mit Kulturschaffenden im Stadtteil in Kontakt und freuen uns über Anregungen und Vorschläge. Die „Offenen Friedenskirche“ schafft Angebote für Menschen, die sich in den traditionellen Arbeitsgebieten der Kirche nicht mehr zu Hause fühlen.

Seit April 2007 hat sich die Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein hinsichtlich der verwaltungstechnischen Versorgung der Gemeinde an den Evangelischen Gemeindeverband Köln-Nord angeschlossen.

Die Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein blickt auf eine lange und oft auch schwierige Geschichte zurück. Jedes Jahrhundert brachte seine eigenen Herausforderungen mit sich.

So hat die Gemeinde seit 2007 zusammen mit der Ev. Brückenschlaggemeinde Stammheim/Flittard und der Ev. Kirchengemeinde Köln-Dünnwald das Jugendkirchenprojekt „geistreich“ gegründet. In der denkmalgeschützten Lutherkirche finden seitdem Jugendgottesdienste, Jugendkonzerte und viele andere Events statt. Jugendliche sollen entdecken, dass Glaube und Gemeinde Sinn und Spaß macht.

Im Sommer 2010 konnte die Gemeinde mit vielen Veranstaltungen ihr 400 jähriges Bestehen feiern. Dieses Jubiläum machte deutlich, dass Gott seinen Menschen durch alle Jahrhunderte hindurch die Treue hält.